Niedrigzinsen ohne Ende - Was heißt das für Baufinanzierer und Verbraucher?
27. Juni 2019: Die anhaltende Schwächephase der europäischen Wirtschaft setzt die europäischen Notenbänker seit Jahresbeginn unter Druck – und lässt eine weitere Lockerung der Zinspolitik immer wahrscheinlicher werden. Im aktuellen Zinskommentar zeigen wir, was das für Baufinanzierer und Verbraucher bedeutet.

Niedrige Zinsen – ist eine Zinswende noch denkbar?
Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, als die Zinswende und damit ein Ende der Niedrigzinsphase in Sichtweite schien. Damals – Mitte 2018 – rechneten die meisten Experten mit einer ersten Erhöhung des Leitzinses Ende 2019 und einer langsamen Normalisierung der Geldpolitik. Aktuell deutet immer noch einiges auf eine Zinswende zum Ende des Jahres hin – allerdings in die andere Richtung. Es könnte tatsächlich noch weiter bergab gehen mit den Zinsen. Die anhaltende Schwächephase der europäischen Wirtschaft setzt die europäischen Notenbänker seit Jahresbeginn unter Druck – und lässt eine weitere Lockerung der Zinspolitik immer wahrscheinlicher werden.
Niedrigzinsen: Phase oder Dauerzustand?
Im Spätsommer 2007 platzte die Preisblase am US-Immobilienmarkt und markierte den Anfang der weltweiten Finanzkrise. Kurze Zeit später – im Oktober 2009 – folgte die Eurokrise. Mehreren europäischen Ländern drohte aufgrund ihrer hohen Verschuldung und mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Staatsbankrott. Die EZB reagierte 2010 zunächst mit einem 750-Milliarden-Euro-Rettungsprogramm und begann damit, in großem Stil Staats- und Unternehmensanleihen aufzukaufen. Der Leitzins, der im Sommer 2008 noch bei 4,25 Prozent lag, wurde bis zum März 2016 in mehreren Schritten auf 0 Prozent gesenkt. Ein Tiefstand, auf dem er bis heute verharrt.
Die Niedrigzinsphase hält also seit mittlerweile über zehn Jahren an und ist damit mittlerweile eher zu einem Dauerzustand geworden. Und: Ein Ende ist aktuell nicht abzusehen – eher das Gegenteil. Die negativen Wirtschaftsmeldungen häufen sich: Immer wieder werden Konjunkturprognosen nach unten korrigiert und die Inflation ist meilenweit von der 2-Prozent-Zielmarke der EZB entfernt. Gleichzeitig sorgen die hohen Verschuldungsquoten und Reformstaus vieler europäischer Staaten für Bedenken.
Niedrigzinsen 2.0: Warum die Zinsen noch weiter sinken könnten
Und wie reagieren die Notenbanken? Sie bereiten den Boden für eine weitere Öffnung der Geldschleusen. Bei einer Konferenz in Portugal Mitte Juni erklärte Mario Draghi sich bereit, alle Instrumente zu nutzen, die notwendig sind. Zusätzliche Zinssenkungen und weitere Anleihekäufe seien denkbar. Das Problem daran: Der Leitzins in Europa liegt – wie gesagt – bereits bei null Prozent, der Einlagezins für Banken sogar bei minus 0,4 Prozent. Darüber hinaus hält die EZB Anleihen im Volumen von rund 2,6 Billionen Euro. Die Geldschleusen stehen also seit geraumer Zeit sperrangelweit offen.
Was also ist das Problem? Die Geldpolitik allein kann wirtschaftliche Probleme nicht lösen. Sie erkauft den Staaten mit Niedrigzinsen und weiteren Maßnahmen die Zeit, in der sie wichtige Reformen durchführen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken können. Bisher nutzen viele Länder das „billige Geld“ allerdings nicht ausreichend, sondern ruhten sich vielmehr darauf aus. Weitere geschenkte Zeit der EZB und eine Verlängerung der Niedrigzinsphase – etwa durch ein Absenken des Leitzinses in den negativen Bereich oder eine Wiederaufnahme der Anleihekäufe – müsste daher dringend dafür genutzt werden, Reformen durchzuführen und die Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums zu sichern. Passiert das nicht, dann wäre die geschenkte Zeit nichts weiter als vergeudete Zeit.
Sparen, anlegen, Haus bauen – was lohnt sich in der Niedrigzinsphase?
Die älteren von uns erinnern sich vielleicht noch an das gute alte Sparbuch. Damals galt: Wer spart und viel Geld bei seiner Bank „parkt“, der bekommt zur Belohnung Zinsen. Wer Schulden macht und bei der Bank einen Kredit aufnimmt, der zahlt dafür Zinsen. Diese Logik wird durch die Niedrigzinsphase ad absurdum geführt: Wer sich heute Geld leiht, zahlt kaum noch Zinsen und wer Geld anlegt, macht mindestens aufgrund der Inflation Verluste. Wer besonders viel Geld auf der hohen Kante hat, zahlt unter Umständen sogar zusätzlich Strafzinsen.
Was also tun? In eine selbst bewohnte Immobilie zu investieren ist angesichts der niedrigen Zinsen für viele Menschen eine sinnvolle Anlagealternative. Im Juni brach die zehnjährige Bundesanleihe erneut einen historischen Rekord: Die Negativrendite fiel auf unter -0,3 Prozent. Auch die Hypothekenzinsen bewegten sich jüngst, zum zweiten Mal in der Geschichte, auf das Rekordtief von 0,68 Prozent. Wer ein Immobiliendarlehen aufnimmt, zahlt derzeit also kaum Zinsen an die Bank.
Allerdings: Die Immobilienpreise steigen und Interessenten sollten zunächst auf die Angemessenheit des Kaufpreises und erst in zweiter Linie auf die niedrigen Zinsen achten. Und: Die günstigen Konditionen sollten für eine hohe Tilgung und damit eine schnelle Rückzahlung des Darlehens genutzt werden. Hinzu kommt: Auch die eigene (oder vermietete) Immobilie ist im besten Fall nur einer der Bausteine in der persönlichen Finanzplanung. Allgemein gilt nämlich: Je breiter man seine Geldanlagen streut und auf je mehr Pfeiler man seine Finanzen aufstellt, desto sicherer sind sie.
Ausblick: Ist ein Ende der Niedrigzinsphase in Sicht?
Der Zinsexperte Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG, erwartet auch im zweiten Halbjahr 2019 anhaltend niedrige Bauzinsen. „Die Liste der ungelösten Probleme ist lang: die anhaltende Konjunkturschwäche, eine niedrige Inflation, Handelskonflikte, Verschuldungsquoten, der Brexit und andere geopolitische Risiken – all diese Herausforderungen sind nicht kleiner geworden in den letzten Monaten und dürften uns noch einige Zeit beschäftigen.“